Die verbrannte Heckenschere** – Mechthild Siegel*

Den Sachverhalt zum Fall finden Sie in der Ausgabe 04/2019

DVP – Fachzeitschrift für die öffentliche Verwaltung

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* Regierungsdirektorin Mechthild Siegel ist Dozentin für Zivilrecht, Wirtschafts-
und Gesellschaftsrecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.
** Bei der Klausur handelt es sich um Standardprobleme aus dem Allgemeinen Teil
und dem Schuldrecht des BGB.

Frage 1: Hat die Stadt Sidahausen gegen den Händler Schmidt einen Anspruch auf eine neue Heckenschere?

Die Stadt Sidahausen könnte nach § 433 Abs. 1 BGB1 gegen den Händler Schmidt einen Anspruch auf eine neue Heckenschere haben.

1. Wirksamer Kaufvertrag
Dann müsste zwischen der Stadt Sidahausen und dem Händler Schmidt ein wirksamer Kaufvertrag nach § 433 zustande gekommen sein.

Ein solcher kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande.

1.1 Angebot des Händlers Schmidt
Durch die Zeitungsbeilage könnte der Händler Schmidt ein Angebot abgegeben haben. Ein Angebot i.S.d. § 145 ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Vertrags gerichtet ist und so formuliert sein muss, dass der Vertragsschluss nur noch von der Zustimmung des Empfängers abhängig ist.2 Außerdem muss der Wille zu einer rechtlichen Bindung bestehen.

Eine Zeitungsbeilage richtet sich an eine Vielzahl von Personen, sodass es an einem Rechtsbindungswillen fehlt. Vielmehr handelt es sich um Aufforderungen zur Abgabe von Angeboten, sog. invitatio ad offerendum.3

Somit hat der Händler Schmidt mittels der Zeitungsbeilage kein Angebot i.S.d. § 145 abgegeben.

1.2 Angebot der Stadt Sidahausen
Die Stadt Sidahausen hat selbst, durch ihre Organe, kein Angebot abgegeben. Indem Moritz gegenüber dem Händler Schmidt erklärt, die Heckenschere zum Preis von 169 € kaufen zu wollen, könnte
er ein Angebot i.S.d. § 145 abgegeben haben. Die Äußerung enthält alle wesentlichen Elemente wie Kaufgegenstand und Kaufpreis und richtet sich auch an einen bestimmten Vertragspartner. Händler Schmidt kann durch bloßes „Ja“ zustimmen.

Somit hat Moritz ein Angebot i.S.d. § 145 abgegeben.4



1 Die folgenden Paragrafen ohne Gesetzesangaben sind solche des BGB.
2 Vgl. Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 78. Auflage 2019, § 145
Rn. 1.
3 Vertiefend: Niehues/Siegel, Bürgerliches Recht, 2. Auflage 2014, S. 36 f.
4 Es kann zu diesem Zeitpunkt noch dahingestellt bleiben, ob eine wirksame
Stellvertretung vorliegt, weil das Angebot nicht angenommen worden ist.


1.3 Annahme des Händlers Schmidt
Dieses Angebot müsste der Händler Schmidt angenommen haben.

Indem der Händler Schmidt gegenüber Moritz erklärt, dass die Heckenschere nunmehr 210 € kostet, hat er das Angebot abgelehnt und gleichzeitig ein neues Angebot unterbreitet (§ 150 Abs. 2).

1.4 Annahme des neuen Angebots
Moritz müsste das neue Angebot des Händlers Schmidt angenommen haben. Moritz akzeptiert den Preis von 210 €, also hat er das Angebot angenommen.

1.5 Stellvertretung
Das Handeln des Moritz könnte für die Stadt Sidahausen wirken, wenn die Voraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung gem. §§ 164 ff. vorliegen.

1.5.1 Zulässigkeit
Der Abschluss eines Kaufvertrags stellt kein höchstpersönliches Rechtsgeschäft dar, sodass eine Stellvertretung zulässig ist.

1.5.2 Eigene Willenserklärung
Moritz müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben und nicht lediglich eine fremde übermittelt haben, sog. Bote. Der Stellvertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab, wenn ihm ein gewisser Entscheidungsspielraum eingeräumt wird.

Moritz soll ursprünglich die Heckenschere der Marke Delux GT 800 zum Sonderpreis von 169 €, die in der Zeitungsbeilage angepriesen wurde, beim Händler Schmidt kaufen. Dem Betriebsleiter des Eigenbetriebs der Stadt Sidahausen, Herrn Brockmann, kommt es wegen des günstigen Preises gerade auf diese Heckenschere an.
Diese will er für den Betriebshof der Stadt Sidahausen erwerben. Moritz soll daher keinen
entscheidungsspielraum hinsichtlich des Kaufpreises, des Kaufgegenstands oder Vertragspartners haben. Moritz soll demzufolge nur als Bote fungieren.

Die Unterscheidung zwischen Bote und Stellvertreter richtet sich nach dem äußeren Auftreten und nicht nach dem zwischen Geschäftsherrn und Mittler bestehenden Innenverhältnis. Als Moritz den Preis von 210 € akzeptiert, ist er aus der Sicht des Händlers Schmidt als Stellvertreter aufgetreten. Damit sind die §§ 164 ff. entsprechend anwendbar. 5 Moritz hat somit eine eigene Willenserklärung abgegeben.

1.5.3 Minderjährigkeit des Moritz
Moritz ist erst 15 Jahre alt und somit gem. § 106 in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt. Nach § 165 steht jedoch die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vertreters der Wirksamkeit seiner Willenserklärung, nämlich die Annahme des Angebots des Händlers Schmidt, nicht entgegen.6

1.5.4 Handeln im fremden Namen
Moritz müsste im Namen der Stadt Sidahausen gehandelt haben. Dies ist der Fall, wenn dem Händler Schmidt die Stellvertretung ersichtlich ist, sog. Offenkundigkeitsprinzip.7 Nach dem Sachverhalt
hat Moritz die Heckenschere „für die Stadt Sidahausen“ gekauft. Außerdem hat Moritz als Lieferadresse den Betriebshof der Stadt Sidahausen angegeben. Damit ist das Offenkundigkeitsprinzip gewahrt, und Moritz hat im fremden Namen gehandelt.

1.5.5 Vertretungsmacht
Moritz müsste mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Die Vertretungsmacht kann auf einer gesetzlichen Vorschrift beruhen oder durch Rechtsgeschäft, sog. Vollmacht (§ 166 Abs. 2 Satz 1), erteilt werden.

Nach § 63 Abs. 1 GO NRW vertritt grundsätzlich der Bürgermeister die Gemeinde. In Angelegenheiten des Eigenbetriebs vertritt jedoch nach § 3 Abs. 1 EigVO NRW die Betriebsleitung die Gemeinde.

Bei dem Kauf der Heckenschere für den Betriebshof der Stadt Sidahausen handelt es sich um eine Angelegenheit des Eigenbetriebs. Also ist Herr Brockmann als Betriebsleiter gesetzlicher Vertreter
der Stadt Sidahausen.

Indem Herr Brockmann Moritz beauftragt, die Heckenschere beim Händler Schmidt für die Stadt Sidahausen zu kaufen, könnte er Moritz Vollmacht gem. § 167 erteilt haben. Nach dem Sachverhalt hat Herr Brockmann Moritz jedoch nicht die Befugnis zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts für die Stadt Sidahausen eingeräumt, sondern er will Moritz lediglich als Boten einsetzen.8 Mithin hat Moritz ohne Vertretungsmacht gehandelt.

1.5.6 Genehmigung
Handelt der Stellvertreter ohne Vertretungsmacht, ist der Vertrag gem. § 177 Abs. 1 bis zur Genehmigung des Vertretenen schwebend unwirksam.9

Nachdem Moritz Herrn Brockmann den Kauf der Heckenschere gebeichtet hat, erklärt sich Herr Brockmann mit dem Kauf einverstanden. Damit hat Herr Brockmann den von Moritz ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Vertrag mit dem Händler Schmidt genehmigt.10



5 BGH 12, 334.
6 Da eine wirksame Stellvertretung gem. § 164 Abs. 1 unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt, muss der Stellvertreter nicht voll geschäftsfähig sein. Eine Stellvertretung ist für Geschäftsunfähige (§ 104) dagegen ausgeschlossen, weil der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung abgeben muss. Diese ist aber bei Geschäftsunfähigen nichtig (§ 105).
7 Zu den Einzelheiten vgl. Niehues/Siegel, Bürgerliches Recht, 2. Auflage 2014, S. 71 f.
8 Vgl. Ausführungen zu 1.5.2.
9 Vgl. Niehues/Siegel, Bürgerliches Recht, 2. Auflage 2014, S. 78.
10 Wird die Genehmigung verweigert, hat der andere Teil einen gesetzlichen Anspruch gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht und kann entweder Erfüllung des unwirksamen Vertrags oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Der Minderjährigenschutz erfolgt durch § 179 Abs. 3, sodass der minderjährige Stellvertreter, der ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, nicht haftet.

Damit tritt rückwirkend (§ 184 Abs. 1) die Rechtsfolge des § 164 Abs. 1 ein, und die Stadt Sidahausen ist unmittelbar berechtigt und verpflichtet.

Somit ist zwischen der Stadt Sidahausen und dem Händler Schmidt ein wirksamer Kaufvertrag nach § 433 zustande gekommen, und der Anspruch auf eine Heckenschere ist nach § 433 Abs. 1 entstanden.

2. Untergang des Anspruchs
Der Anspruch auf eine Heckenschere aus § 433 Abs. 1 könnte nach § 275 Abs. 1 untergegangen sein.

Dann müsste dem Händler Schmidt die Leistung unmöglich sein. Ob Unmöglichkeit vorliegt, hängt davon ab, ob nach dem Vertragsinhalt eine Gattungs- oder Stückschuld vereinbart wurde. Um eine Gattungsschuld handelt es sich, wenn der Kaufgegenstand nach allgemeinen Merkmalen (Typ, Sorte etc.) bestimmbar ist. Stückschuld liegt vor, wenn die Sache nach individuellen Merkmalen bestimmbar ist.11 Die Stadt Sidahausen, vertreten durch Moritz, und Händler Schmidt haben sich über den Kauf einer Heckenschere der Marke Delux GT 800 geeinigt. Der Händler Schmidt sollte keine bestimmte von der Stadt Sidahausen ausgewählte Heckenschere liefern. Damit liegt eine Gattungsschuld i.S.d. § 243 Abs. 1 vor.

Die Gattungsschuld begründet für den Schuldner grundsätzlich eine Beschaffungspflicht (§ 276 Abs. 1 Satz 1). Er wird von seiner Leistungspflicht erst dann frei, wenn die gesamte Gattung nicht mehr existiert.

Aus der ursprünglichen Gattungsschuld könnte jedoch gemäß § 243 Abs. 2 eine Stückschuld geworden sein. Dann müsste der Schuldner das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan haben, damit sich das Schuldverhältnis auf diese Sache beschränkt, sog. Konkretisierung.12 Wann der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan hat, hängt wiederum davon ab, wo Leistungs- und Erfüllungsort liegen.

Haben die Parteien nichts vereinbart, greift der gesetzliche Regelfall der Holschuld (§ 269). Bei der Holschuld befindet sich Leistungs und Erfüllungsort beim Wohnsitz des Schuldners (§ 269 Abs. 1), es sei denn, die Vertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass die Stadt Sidahausen, vertreten durch Moritz, den Händler Schmidt gebeten hat, die Heckenschere zum Betriebshof zu liefern.

Abweichend von § 269 Abs. 1 wurde somit Schickschuld vereinbart. Bei der Schickschuld liegt der Leistungsort beim Wohnsitz des Schuldners, und der Erfüllungsort befindet sich beim Wohnsitz des Gläubigers. Der Schuldner hat bei Schickschuld das seinerseits Erforderliche i.S.d. § 243 Abs. 2 getan, wenn er die Sache der Transportperson übergeben hat.13 Dies ist nach dem
Sachverhalt erfolgt. Damit ist Konkretisierung eingetreten, und das Schuldverhältnis beschränkt sich auf diese Heckenschere. Die Heckenschere ist verbrannt. Damit liegt Unmöglichkeit vor, und der Händler Schmidt wird nach § 275 Abs. 1 von seiner Leistungspflicht frei. Damit hat die Stadt Sidahausen gegen den Händler Schmidt keinen Anspruch auf eine Heckenschere gem. § 433 Abs. 1.



11 Vgl. Grüneberg/Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 78. Auflage 2019, § 243
Rn. 2.
12 Vertiefend: Niehues/Siegel, Bürgerliches Recht, 2. Auflage 2014, S. 107–110.
13 BGH 65, 349.

Heckenschere ist verbrannt. Damit liegt Unmöglichkeit vor, und der Händler Schmidt wird nach § 275 Abs. 1 von seiner Leistungspflicht frei.

Damit hat die Stadt Sidahausen gegen den Händler Schmidt keinen Anspruch auf eine Heckenschere gem. § 433 Abs. 1.

Frage 2: Muss die Stadt Sidahausen die 210 € an den Händler Schmidt bezahlen?

Die Stadt Sidahausen könnte nach § 433 Abs. 2 verpflichtet sein, die 210 € an den Händler Schmidt zu zahlen.

1. Verpflichtung entstanden
Gegen das Zustandekommen eines wirksamen Kaufvertrags nach § 433 bestehen nach dem Sachverhalt keine Bedenken (s. o.). Damit ist die Stadt Sidahausen gem. § 433 Abs. 2 verpflichtet, den Kauf-
preis an den Händler Schmidt zu zahlen.

2. Untergang
Die Verpflichtung zur Gegenleistung könnte jedoch nach § 326 Abs. 1 untergegangen sein. Dann müsste zwischen der Stadt Sidahausen und dem Händler Schmidt ein gegenseitiger Vertrag zustande gekommen sein.

2.1 Gegenseitiger Vertrag

Bei einem Kaufvertrag stehen Leistung und Gegenleistung unmittelbar gegenüber, es handelt sich also um einen synallagmatischen (gegenseitigen) Vertrag.

2.2 Leistungsbefreiung
Des Weiteren müsste der Schuldner nach § 275 Abs. 1–3 nicht zu leisten brauchen. Die Leistung des Händlers Schmidt auf Lieferung einer Heckenschere ist ihm unmöglich geworden, und somit ist er von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 befreit (s. o.).

Somit sind die Voraussetzungen nach § 326 Abs. 1 erfüllt, und die Stadt Sidahausen wäre nicht verpflichtet, den Kaufpreis an den Händler Schmidt zu zahlen.

3. Versendungskauf
§ 326 Abs. 1 erfährt aber im Falle des Versendungskaufs unter den Voraussetzungen des § 447 Abs. 1 eine Ausnahme.14 Versendet nämlich der Verkäufer auf Verlangen des Käufers die Sache nach einem anderen Ort als den Erfüllungsort, so geht die Gefahr über, sobald der Verkäufer die Sache an eine Transportperson ausgeliefert hat.15

Dann müsste der Händler Schmidt die Heckenschere auf Verlangen der Stadt Sidahausen an einen anderen Ort als den Erfüllungsort versendet haben.

Gesetzlich vorgesehener Erfüllungsort ist der Wohnsitz des Schuldners (§ 269 Abs. 1). Die Stadt Sidahausen, vertreten durch Moritz, hat jedoch um Lieferung der Heckenschere zum Betriebshof gebeten. Der Händler Schmidt hat die Heckenschere auch dem Spediteur Müller zur Auslieferung an die Stadt Sidahausen übergeben.

Damit liegen die Voraussetzungen des § 447 vor, sodass die Stadt Sidahausen das Transportrisiko trägt. Damit bleibt der Anspruch auf die Gegenleistung bestehen.

Ergebnis

Die Stadt Sidahausen ist gem. § 433 Abs. 2 verpflichtet, die 210 € an den Händler Schmidt zu zahlen.

Anmerkungen:

1. Die Prüfung der Durchsetzbarkeit des Kaufpreisanspruchs (Einrede der Stadt Sidahausen aufgrund von § 273 bzw. § 320 i.V.m. § 285) kann nicht erwartet werden.
2. Ausführungen zu den §§ 457 ff. HGB sind entbehrlich, weil nach der Aufgabenstellung danach nicht gefragt ist.



14 Niehues/Siegel, Bürgerliches Recht, 2. Auflage 2014, S. 135.
15 Die Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474, 475 Abs. 2, 13 und 14) sind nicht anwendbar, sodass es bei der Gefahrtragung des § 447 verbleibt.