Fall 12: Der abgestellte Motorroller – Udo Kunze*

Den Sachverhalt zum Fall finden Sie in der Ausgabe 12/2018 der Zeitschrift

DVP – Fachzeitschrift für die öffentliche Verwaltung

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Der abgestellte Motorroller – Teil 1: Erstentscheidung
Schwerpunkte: Umweltrecht, Allgemeines Verwaltungsrecht,
Rechtswissenschaftliche Methodenlehre, Bescheidtechnik

Gutachten zum Fall „Der abgestellte Motorroller“

Die Erstellung des Gutachtens basiert methodisch auf dem Aufbaumuster
der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen (Stand
Februar 2016).

Die von der Behörde beabsichtige Anordnung ist ein eingreifender Ver-
waltungsakt (VA), sodass das für solche Fälle entwickelte Aufbaumuster
zugrunde zu legen ist (eine erste Weichenstellung zur Gutachtenstruk-
tur).

Zu Beginn ist das Arbeitsziel zu bestimmen, das aus dem Sachverhalt
abzuleiten ist.

Arbeitsziel ist der Erlass einer rechtmäßigen Anordnung über die
Verpflichtung des D. zur ordnungsgemäßen Entsorgung seines Mo-
torrollers.

Gutachterlich zwingend ist nun die Formulierung des Obersatzes, der als
Programm die Voraussetzungen nennt, um das Arbeitsziel zu erreichen.

Die Anordnung kann gegenüber D. erlassen werden, wenn für den
Eingriff in sein Eigentumsrecht (Art. 14 I GG) eine Ermächtigungs-
grundlage vorhanden ist (Vorbehalt des Gesetzes) und die formellen
und materiellen Rechtsnormen eingehalten werden (Vorrang der
Gesetze nach Art. 20 III GG).

Der Obersatz leitet sich aus dem Arbeitsziel ab und geht von der Hy-
pothese aus, dass die Anordnung erlassen werden kann. Sodann folgen
die zunächst allgemeinen Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, um die
Rechtsfolge eintreten zu lassen. Ein solcher Syllogismus, also der Schluss
vom Allgemeinen (der Rechtsnorm) zum Besonderen (dem Sachverhalt),
wird sich im Laufe des Gutachtens an den Schwerpunkten wiederholen
und zunehmend konkreter werden.

I. Ermächtigungsgrundlage könnte § 62 KrWG sein.

II. Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

Manche Dozenten erwarten im Gutachten eine kurze Aussage auf die
nach dem Bearbeitungshinweis nicht zu prüfende Zuständigkeit. Damit
soll dem Leser die Beachtung auch dieser formellen Voraussetzung durch
den Gutachter verdeutlicht werden. Ein solcher Hinweis erscheint aber
aus Sicht des Verfassers entbehrlich, denn der Leser kennt ja die Vorgaben
für das Gutachten.

1. Das KrWG enthält für den Erlass einer Anordnung keine speziellen
formellen Regelungen. Auch das Niedersächsische Gesetz über die
öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) in der Fassung vom
19. Januar 2005 (Nds. GVBl. S. 9) regelt keine besonderen Form- oder
Verfahrensvoraussetzungen. Als generelle Norm kommt demzufolge
das Nds. VwVfG zur Anwendung, das in § 1 I das VwVfG des Bundes
für anwendbar erklärt.

Diese Einführung in die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit verdeut-
licht dem Leser des Gutachtens, dass der Rechtsanwender den Grundsatz
„Spezielles Recht geht dem allgemeinen Recht vor“ beachtet hat.

2.1 D. soll Adressat der Anordnung werden, also ist er nach § 13 I Nr. 2
VwVfG Beteiligter.

2.2 Als natürliche Person ist D. nach § 11 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG betei-
ligungsfähig.

2.3 Seine Handlungsfähigkeit ergibt sich aus § 12 I Nr. 1 VwVfG.

Die drei formellen Voraussetzungen wurden im gestrafften Gutachtenstil
(2.1) und zu 2.2 und 2.3 im Entscheidungsstil formuliert, weil sich keine
Problemstellungen daraus ergeben.
Beim gestrafften Gutachtenstil entfällt die Subsumtion in der
4-Schritt-Methodik. Dass die Voraussetzung der Norm vorliegt wird
lediglich festgestellt (hier: Adressat) und nach dem „also“ die Rechtsfolge
genannt (Schimmel, Roland, Juristische Klausuren und Hausarbeiten
richtig formuliert, 12. Aufl. 2016, Rn 143, nennt das die „verschliffenen
Formen des Gutachtenstils“).
Beim Entscheidungsstil wird die Behauptung an den Anfang gestellt und
es folgt die Begründung (deduktive Argumentationstechnik).

3. Die bereits erfolgte Anhörung wurde ordnungsgemäß durchge-
führt. Als Voraussetzungen nennt § 28 I VwVfG, dem Beteiligten
die entscheidungserheblichen Tatsachen mitzuteilen und die beab-
sichtigte Entscheidung selbst, und zwar inhaltlich bestimmt (§ 37 I
VwVfG). Beides wurde im Anhörungsschreiben beachtet.

Durch die Fristsetzung, die angemessen war, hatte D. auch Gelegen-
heit, sich zu äußern.

Wenn der Beteiligte davon keinen Gebrauch macht, kann die Behör-
de aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse entscheiden.

Im Anhörungsschreiben wurden darüber hinaus auch die wesentlichen
Rechtsgrundlagen mit aufgeführt. Dies ist nach dem Wortlaut des § 28 I
VwVfG nicht erforderlich. Gleichwohl empfiehlt es sich, weil Rechts- und

Tatfragen zumeist eng miteinander verknüpft sind und der Beteiligte auch
zu Rechtsfragen soll Stellung beziehen können (Maurer/Waldhoff, Allge-
meines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, Rn 28).

4. Weitere formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen werden hier
gesetzlich nicht gefordert.

5. Zwischenergebnis: Die Anordnung kann formell rechtmäßig er-
lassen werden.

III. Materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

Die Komplexität und fachspezifischen Besonderheiten des KrWG
sind vor einer Klausur mit diesem Schwierigkeitsgrad hinsichtlich
der Rechtsmethodik intensiv vorzubereiten. Das Rechtsnormgefüge
(§§-Kette) für diesen Fall bedarf einer sorgfältigen Normanalyse, wie
sich nachfolgend zeigen wird. Der Gesetzgeber hat in § 3 KrWG eine
Vielzahl von Legaldefinitionen aufgenommen, welche die Rechtsan-
wendung erleichtern.

Tatbestandsmerkmal des § 62 KrWG ist für eine Anordnung im Ein-
zelfall, dass diese der Durchführung des KrWG oder der auf Grund
dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen dient.

1. Vorprüfung (dient dem Verständnis der Normstruktur sowohl für
den Rechtsanwender als auch für den Leser)

1.1 Abfallhierarchie

Das KrWG bestimmt in § 6 eine Abfallhierarchie, nach der eine
Rangfolge gesetzlich vorgegeben wird. Fallrelevant könnten hier nur
das Recycling (Nr. 3), die sonstige Verwertung (Nr. 4) und schließlich
die Beseitigung (Nr. 5) sein.

1.1.1 Die Verwertung wird in § 3 XXIII KrWG definiert als Zufüh-
rung des Abfalls zur weiteren sinnvollen Wiederverwendung. Die
Verfahren dazu incl. Recycling werden in der Anlage 2 zum KrWG
aufgeführt.

1.1.2 Die Beseitigung hingegen als nachrangige Form der Abfallent-
sorgung wird in § 3 XXVI KrWG negativ definiert als ein Verfahren,
das keine Verwertung ist. Die Beseitigungsverfahren werden in der
Anlage 1 genannt.

1.2 Grundpflichten

Das KrWG normiert in § 7 Grundpflichten des Besitzers von Ab-
fällen und dazu zählt nach § 7 II 1 die Verpflichtung zur Verwer-
tung. Die nachrangige Beseitigung führt zur Grundpflicht aus § 15 I
KrWG.

Damit stellt sich die Frage, ob D. seinen Motorroller, wenn dieser
denn Abfall ist, einer Verwertung zuzuführen hat oder diesen besei-
tigen muss.

1.3 Aufschluss gibt die AltfahrzeugV, die regelt, dass Altfahrzeuge
ggfls. über eine Annahme- oder Rücknahmestelle einem Demonta-
gebetrieb zugeführt werden müssen (§ 2 I Nr. 14 und 15), um dort
verwertet zu werden (§ 2 I Nr. 16).

Demzufolge hat D. nach §§ 7 II 1 KrWG, 4 I AltfahrzeugV sei-
nen Motorroller einer Annahme- oder Rücknahmestelle oder direkt
einem Demontagebetrieb zu überlassen, wenn das Fahrzeug Abfall
i.S.d. KrWG ist (nachfolgend zu 2.) und D. als Besitzer des Altfahr-
zeugs als Abfall anzusehen ist (nachfolgend zu 3.).

2. Abfallbegriff

2.1 Fahrzeuge sind Altfahrzeuge und damit Abfall, wenn die Voraus-
setzungen des § 3 I 1 KrWG erfüllt werden (§ 2 I Nr. 2 AltfahrzeugV).

Ein Motorroller ist ein Kraftfahrzeug i.S.d. § 1 II StVG, denn es
handelt sich um ein Landfahrzeug, das durch Maschinenkraft bewegt
wird, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.

2.2 Abfälle sind nach § 3 I 1 KrWG Gegenstände, derer sich der
Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Der Ge-
setzgeber nennt also drei Abfallvarianten, die in den nachfolgenden
Absätzen 2 bis 4 definiert werden.

2.2.1 Entledigung als erste Variante des § 3 I 1, II KrWG

Eine Entledigung ist danach anzunehmen, wenn der Besitzer des
Gegenstandes diesen der Verwertung bzw. der Beseitigung zuführt
oder die tatsächliche Sachherrschaft unter Wegfall jeder weiteren
Zweckbestimmung (tatsächlich) aufgibt.

2.2.1.1 Der Besitz als tatsächliche Gewalt und damit der Sachherr-
schaft über eine Sache (§ 854 I BGB) wird dadurch beendet, dass
der Besitzer diese aufgibt (§ 856 I BGB). Die Aufgabe kann durch
Übergabe oder Wegwerfen geschehen, setzt allerdings ein erkennba-
res willentliches Handeln voraus (Berger in Jauernig, BGB, 16. Aufl.
2015, § 855 Rn 2).

2.2.1.2 Die Besitzaufgabe nach § 3 II KrWG als dritter Entledi-
gungstatbestand nach der Zuführung zur Verwertung und zur Besei-
tigung stellt nach dem Wortlaut des Gesetzes auf ein zweckgerich-
tetes Verhalten des Besitzers zur Beendigung der Sachherrschaft ab,
demzufolge auf einen Besitzbeendigungswillen (BeckOK UmweltR/
Wolf KrWG § 3 Rn 14). Dieser Wille ist Grundvoraussetzung für
eine Besitzaufgabe und insoweit identisch mit dem Besitzbeendi-
gungswillen nach § 856 I BGB.

2.2.1.3 Gleichwohl handelt es sich bei der Besitzaufgabe als dritter
Entledigungstatbestand des § 3 II Alt. 3 KrWG um den objektiven
Abfallbegriff, d.h. die äußeren Umstände, aus denen die Besitzauf-
gabe geschlossen werden kann, müssen sich an allgemeinen Kriterien
messen lassen und nicht ausschließlich am subjektiven Verhalten des
Besitzers des Gegenstandes. Eine solche Auslegung ergibt sich aus
der Systematik des Gesetzes:

a) Die in § 3 I 1 KrWG aufgezählte erste Abfallvariante der Ent-
ledigung stellt auf ein tatsächliches Verhalten des Besitzers ab. Das
lässt sich daraus ableiten, weil die in § 3 II KrWG aufgeführte dritte
Entledigungsvariante im Vergleich zu setzen ist, mit den beiden an-
deren, nämlich der Verwertung und der Beseitigung. Diese beiden
letztgenannten Arten der Besitzaufgabe durch Verwertungs- und
Beseitigungsüberlassung lassen sich zweifelsfrei aus der Tatsache
ableiten, dass der Besitzer den Gegenstand einer Verwertungs- oder
Beseitigungsanlage zur Abfallentsorgung tatsächlich übergibt. Der
Besitzaufgabewille ist hier nur Voraussetzung für die Tathandlung
des Besitzers.

b) Dem gegenüber stellt der Entledigungswille als zweite Abfallva-
riante (§ 3 I 1 Alt. 2 und III KrWG) ausschließlich auf die subjektive
Absicht des Besitzers ab, sich des Gegenstandes zu entledigen (sub-
jektiver Abfallbegriff ) (BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt
46. Edition, Stand 01.12.2017, Rn 16). Demnach muss sich die Ent-
ledigung als erste Variante nicht allein nach dem subjektiven Willen
des Besitzers ausrichten (Umkehrschluss).

2.2.1.4 Die tatsächliche Entledigung des Motorrollers kann dem D.
nicht unterstellt werden, weil dafür objektive Kriterien fehlen. Der
Motorroller kann ihm abhandengekommen sein und ihm ist nicht
bekannt, wo sich sein Fahrzeug befindet. Aus der Bekanntgabe des
Anhörungsschreibens können keine diesbezüglichen Schlüsse gezo-
gen werden.

2.2.2 Entledigungswille als zweite Abfallvariante nach § 3 I 1, III
KrWG

Der Entledigungswille als zweite Variante aus § 3 I 1 und III 1 Nr. 2
KrWG kann jedoch zutreffen.

2.2.2.1 Der Gesetzgeber stellt eine Vermutungsregel auf bzw. regelt
eine gesetzliche Fiktion, die zu der Annahme führt, dass der Besitzer
den Willen zur Entledigung hat. Zur Erfüllung des Abfallbegriffs ist
demzufolge die Erfüllung der Fiktion ausreichend.

Dies gilt nämlich nur dann, wenn nach Nr. 2 des § 3 III KrWG die
ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wurde,
und zwar ohne, dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an
deren Stelle tritt. Für die Beurteilung ist die Auffassung des Besitzers
unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zugrunde zu legen
(§ 3 III 2 KrWG).

Die ursprüngliche Zweckbestimmung des Motorrollers des D. war,
als Fortbewegungsmittel zu dienen. Diese Zweckbestimmung ist
entfallen, weil das Fahrzeug nicht mehr verkehrstüchtig ist. Nach
allgemeiner Verkehrsanschauung pflegt ein Besitzer sein Fahrzeug
und lässt es nicht verrotten.

Ein neuer Verwendungszweck, etwa eine Wiederverwendungsabsicht,
ist nicht erkennbar und von D. nicht vorgetragen worden. D hat weder
auf die Anhörung reagiert, noch ist er der Aufforderung nachgekom-
men, die sich aus der am Motorroller angebrachten Plakette ergab.

Ob es sich bei dieser Aufforderung aus der Plakette um einen VA
handelt, kann ungeprüft bleiben, denn selbst wenn sich eine Regelung
aus dem ersten Absatz der Plakette ergeben könnte, ist eine Wirk-
samkeit nicht eingetreten, weil es an einer Bekanntgabe an D. fehlt
(§ 43 I 1 VwVfG). Es bleibt dem Rechtsanwender überlassen, hierauf,
wenn, dann aber nur kurz, einzugehen.

D. trägt die Darlegungslast hinsichtlich eines neuen Verwendungs-
zwecks (VGH München, Beschl. v. 07.11.2017 -20 ZB 16.991- Rn
20 m.w.N., BeckRS 2017, 132571). Da sich D. dazu bislang nicht
geäußert hat, geht dies zu seinen Lasten.

2.2.2.2 Also kann angenommen werden, dass D einen Entledigungs-
willen nach § 3 III Nr. 2 KrWG hat.

Auf die dritte Abfallvariante nach § 3 I, IV KrWG einzugehen, also sich
des Besitzes entledigen zu müssen, wenn für die Umwelt eine Gefähr-
dungssituation besteht, muss in diesem Fall nicht eingegangen werden,
weil nach dem Sachverhalt sich dafür keine Anhaltspunkte ergeben. Öl
lief nach dem Bericht der Polizeiinspektion noch nicht aus.

2.3 Folglich handelt es sich bei dem Motorroller nunmehr um Abfall
i.S.d. § 3 I 1 Alt. 2, III 1 Nr. 2 KrWG und damit um ein Altfahrzeug
nach § 2 I Nr. 2 AltfahrzeugV.

3. Abfallbesitzer

3.1 Die Überlassungspflichten aus § 4 I AltfahrzeugV obliegen dem
Besitzer. Besitzer von Abfällen ist nach § 3 IX KrWG die Person, die
die tatsächliche Sachherrschaft über den Abfall hat.

An dieser Stelle des Gutachtens werden an den Rechtsanwender beson-
dere Herausforderungen gestellt: Erneut stellt der Gesetzgeber auf die
tatsächliche Sachherrschaft ab, die zuvor ja gerade beim Abfallbegriff zu
prüfen war. Wenn also der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft auf-
gegeben hat, wieso soll er diese nunmehr noch haben? Die Frage lässt sich
aber logisch erklären. Der Besitzer des Motorrollers gibt seine tatsäch-
liche Sachherrschaft an dem Fahrzeug auf und wird im selben Moment
Besitzer des Gegenstandes als Abfall, für den er dann abfallrechtlich
verantwortlich bleibt. Es handelt sich also nicht um einen Widerspruch,
sondern um eines gesetzliche Folge, die sich aus dem Sinn und Zweck
des KrWG ergibt.

3.2 Hierbei handelt es sich um eine öffentlich-rechtlich geprägte
tatsächliche Sachherrschaft über einen Abfall, der keinen Besitzbe-
gründungswillen verlangt und sich demnach vom zivilrechtlichen
Besitz unterscheidet (BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt,
46. Edition, Stand 01.12.2017, Rn 34 mit Hinweis u.a. auf BVerwG
NJW 1989, 1295).

Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des KrWG,
denn wären allein ein Besitzaufgabewille am Gegenstand und nach-
folgend ein Besitzbegründungswille am Abfallgegenstand maßgeb-
lich, könnte der Besitzer des Gegenstandes, dessen er sich entledigen
will, sich seinen abfallrechtlichen Pflichten auf einfache Weise ent-
ziehen. Das kann nicht im Sinne des Umweltschutzes sein, dem das
KrWG dient und das zur Einhaltung der Pflichten gebietet.

3.3 Das bedeutet für D., dass der gesetzlich vermutete Entledigungs-
wille hinsichtlich seines Motorrollers zu einer Abfalleigenschaft des
Gegenstandes führt, dessen tatsächliche Sachherrschaft bei ihm ver-
bleibt, sodass er Abfallbesitzer wird.

4. Demzufolge ist D. zur Verwertung nach § 7 II 1 KrWG verpflichtet
und dies bedeutet nach § 4 I AltfahrzeugV, dass D. seinen Motorrol-
ler einer anerkannten Annahme- oder Rücknahmestelle bzw. einem

anerkannten Demontagebetrieb zu überlassen hat.
5. Die beabsichtigte Anordnung dient also zur Durchführung dieser
gesetzlichen Pflicht und kann formell und hinsichtlich des Tatbestan-
des materiell rechtmäßig erlassen werden.

IV. Rechtsfolgeermessen

Das der Behörde in § 62 KrWG eingeräumte Ermessen wird nur
dann fehlerfrei ausgeübt, wenn die Vorgaben des § 40 VwVfG ein-
gehalten werden.

Die beabsichtigte Verpflichtung zur Überlassung an eine anerkann-
te Stelle der Abfallentsorgung dient ausschließlich dem Zweck des
KrWG und der AltfahrzeugV, Abfälle umweltgerecht zu verwerten
(§ 1 KrWG).

1. Das Entschließungsermessen, also die Entscheidung, ob die Be-
hörde eingreift, reduziert sich auf Null, wenn jede andere Entschei-
dung als eine Überlassungsanordnung sich als ermessensfehlerhaft
herausstellen würde.

Wenn die Stadt sich entscheiden würde, keine Anordnung zu er-
lassen, hätte das zur Folge, dass der Abfall auf dem Grundstück
des EKZ verbliebe und dieser Zustand entspräche nicht dem ge-
setzlichen Auftrag der zuständigen Behörde, für die Durchführung
des KrWG und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechts-
vorschriften Sorge zu tragen. § 1 V AltfahrzeugV verpflichtet den
Letzthalter eines Altfahrzeugs, seinen Überlassungspflichten aus
§ 4 I AltfahrzeugV nachzukommen. Gründe, eine Pflichtverletzung
ausnahmsweise zu tolerieren, sind nicht vorgetragen und auch nicht
erkennbar. Demzufolge reduziert sich das Entschließungsermessen
auf nur eine rechtmäßige Entscheidung, nämlich den Erlass einer
Anordnung.

2. Hinsichtlich des Auswahlermessens, welche Anordnung erlas-
sen wird, verengt sich der Ermessensspieleraum der Behörde bereits
durch die in die Rechtsfolge des § 62 KrWG aufgenommen Erfor-
derlichkeit einer Anordnung. Eine Ermessenseinschränkung ergibt
sich zudem aus § 4 I AltfahrzeugV, weil dort eine Überlassungs-
pflicht normiert ist. Gründe für eine andere geeignete Maßnahme als
die von der Stadt beabsichtigte Überlassungsanordnung sind nicht
erkennbar.

2.1 Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn wird gewahrt, wenn der
für den Betroffenen entstehende Nachteil der Maßnahme geringer zu
bewerten ist, als der erstrebte Erfolg. Die Angemessenheit wird hier
gewahrt, denn für D. entsteht durch die Einhaltung seiner ohnehin
gesetzlichen Pflicht lediglich der Aufwand, seinen Motorroller einer
anerkannten Stelle zuzuführen, während der damit erreichte Zweck
einer umweltgerechten Entsorgung und Verwertung des Abfalls nach
dem Willen des Gesetzgebers höher zu bewerten ist.

2.2 Auswahl des Verantwortlichen

Das Auswahlermessen erstreckt sich darüber hinaus auf die zu tref-
fend Entscheidung, wer in Anspruch zu nehmen ist. Das deshalb,
weil auch der Grundstückseigentümer als Zustandsverantwortlicher
in Anspruch genommen werden kann. Besitzer nach § 3 IX KrWG
ist jeder, der die tatsächliche Sachherrschaft über den Abfall hat. Der
Abfallbesitz setzt keinen Besitzbegründungswillen voraus, sodass ein
Abfallbesitz auch gegen den Willen des Grundstückseigentümers
entsteht (Landmann/Rohmer, UmweltR/Beckmann, 84. EL Juli
2017, KrWG § 15 Rn 26, mit Hinweis auf Kaltenborn, in: Schmehl,
GK-KrWG, § 15 Rn 8).

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass D. als Letzthalter des Fahr-
zeugs und Verursacher des Abfalls hier vorrangig in Anspruch ge-
nommen werden sollte, zumal D. als Abfallerzeuger ermittelt werden
konnte und auch erreichbar ist. Gründe, den Grundstückseigentümer
in Anspruch zu nehmen, sind nicht erkennbar.

Die Inanspruchnahme D. durch eine Überlassungsanordnung kann
demzufolge ermessensfehlerfrei erfolgen.

———————————–

* Städt. Direktor a.D. Udo Kunze ist nebenamtlicher Fachlehrer beim Nds. Studi-
eninstitut für kommunale Verwaltung e.V., Lehrbeauftragter der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen sowie der Hochschule Osnabrück
und Dozent des Kommunalen Bildungswerkes e.V. Berlin
** Den Sachverhalt finden Sie in der DVP 12-2018, S. 495.

2) Lösung

V. Ergebnis

D. kann rechtmäßig verpflichtet werden, seinen Motorroller einer
anerkannten Annahme- oder Rücknahmestelle bzw. einem Demon-
tagebetrieb zu überlassen.

VI. Nebenentscheidungen

1. Verpflichtung zur Vorlage des Verwertungsnachweises

Die anerkannte Annahme- oder Rücknahmestelle bzw. der anerkann-
te Demontagebetrieb händigt dem Abfallbesitzer bei der Überlassung
einen Verwertungsnachweis aus. (§ 4 II 5 AltfahrzeugV). Die Vor-
lage kann die zuständige Behörde auf Grundlage des § 47 III 1 Alt.
2 KrWG vom Besitzer von Abfällen als Überwachungsmaßnahme
verlangen.

D. sollte deshalb aufgegeben werden, einen solchen Verwertungs-
nachweis nach der Überlassung der Stadt vorzulegen.

2. Zwangsmittelandrohung

Rechtsgrundlage für eine Zwangsmittelandrohung ist das Nieder-
sächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung
(§§ 64 ff. Nds. SOG). Die Behörde kann zwischen der Androhung
eines Zwangsgeldes oder der Ersatzvornahme entscheiden. Da die
Überlassung eine vertretbare Handlung ist und damit der abfallrecht-
lich widerrechtliche Zustand am schnellsten und wirksamsten besei-
tigt werden kann, empfiehlt sich die Androhung der Ersatzvornahme
nach §§ 70, 66 Nds. SOG.

3. Anordnung der sofortigen Vollziehung

Nach § 80 II Nr. 4 VwGO kann die Behörde die sofortige Voll-
ziehung anordnen. Sollte der Adressat des Bescheides Rechtsbehelf
dagegen einlegen, kann die Behörde sogleich vollstrecken und damit
sofort den abfallrechtlich widerrechtlichen Zustand beseitigen. Dies
ist zu empfehlen, zumal dies zugleich auch im Interessen des Grund-
stückseigentümers liegt. Die Anordnung und damit das besondere
Interesse an der sofortigen Vollziehung sind schriftlich zu begründen
(§ 80 III 1 VwGO).

4. Kostenentscheidung

Die Kostenlastentscheidung stützt sich auf § 1 I 2 NVwKostG, da
die Aufgaben der unteren Abfallbehörde nach § 42 II 1 NAbfG zum
übertragenen Wirkungskreis gehören.

D. hat auch Anlass zu der Amtshandlung gegeben und ist somit nach
§ 5 NVwKostG Kostenschuldner.

Entwurf des Bescheides

Literaturhinweise zur Bescheidtechnik:

1) Bittorf, Drape, Globisch, Moldenhauer, Scheske, Weidemann (Herausgeber Koop/Weidemann), Bescheidtechnik, 2013 (Neuauflage in Vorbereitung)
2) Volkert, Die Verwaltungsentscheidung, 5. Aufl. 2010
3) Linhart, Der Bescheid, 4. Aufl. 2013
——————————————————————————-
Stadt Osnabrück        –          E.
Der Oberbürgermeister

Fachbereich Umwelt
Untere Abfallbehörde

1.
per Zustellungsurkunde Zur Post am: 16. April 2018
Herrn
Dieter Dreist
Lange Str. 5
49082 Osnabrück

68-2/32

Osnabrück, den 16. April 2018

Anordnung zur Abfallentsorgung

Sehr geehrter Herr Dreist,

1. den auf dem Parkplatz des Einkaufzentrums im Gewerbegebiet Osnabrück-Sutthausen abgestellten Motorroller vom Typ Peugeot mit dem ehemaligen Versicherungskennzeichen 277/VGF und der Fahrgestellnummer 3520002777 haben Sie innerhalb einer Woche nach Zustellung dieses Bescheides einer anerkannten Annahme- oder Rücknahmestelle oder einem anerkannten Demontagebetrieb zu überlassen.

2. Der von dieser Stelle nach Überlassung auszustellende Verwertungsnachweis ist mir von Ihnen innerhalb von vier Tagen, nachdem das Fahrzeug einer der unter Nr. 1 aufgeführten Stelle übergeben worden ist, zuzuleiten.

3. Sollten Sie dieser Verfügung nach Nr. 1 nicht fristgerecht nachkommen, wird auf Ihre Kosten der Motorroller von mir einem anerkannten Demontagebetrieb übergeben und verwertet (Zwangsmittel der Ersatzvornahme).

4. Die sofortige Vollziehung wird angeordnet.

5. Die Kosten für dieses Verwaltungsverfahren haben Sie zu tragen.

Begründungen:

1.: Anordnung über die Abfallentsorgung

Meine Feststellungen haben ergeben, dass Sie als Letzthalter des Motorrollers diesen am 10. Januar 2018 abgemeldet haben. Seit ca. Mitte Januar 2018 steht das Kleinkraftrad auf dem Parkplatz des Einkaufzentrums im Gewerbegebiet Osnabrück-Sutthausen.

Aufgrund des verwahrlosten Zustandes des Fahrzeugs leitete ich zur Vorbereitung einer abfallrechtlichen Anordnung mit meinem Schreiben vom 29. März 2018 ein Anhörungsverfahren ein, auf das Sie nicht reagierten.

Die Anordnung stützt sich auf § 62 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212). Als Letzthalter des Motorrollers sind Sie Besitzer des nun als Abfall anzusehenden Kraftrades und nach § 7 Abs. 2 KrWG zur Verwertung verpflichtet. Aufgrund des verwahrlosten und nicht mehr fahrtüchtigen Zustandes dient der Motorroller nicht mehr dem ursprünglichen Verwendungszweck, nämlich als Fortbewegungsmittel zu dienen.

Die von mir zu treffende Ermessensentscheidung konnte im öffentlichen Interesse des Umweltschutzes nur zum Erlass der Anordnung führen. Dabei habe ich Ihr Interesse, nicht durch eine Anordnung in die Pflicht genommen zu werden, hinreichend gewürdigt.

Eine ordnungsgemäße Verwertung des Abfalls kann nur erfolgen, indem Sie den Motorroller einer anerkannten Annahme- oder Rücknahmestelle oder einem Demontagebetrieb zuführen. Dies ergibt sich aus § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Überlassung, Rücknahme und umweltverträglichen Entsorgung von Altfahrzeugen (AltfahrzeugV) vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2214).

2.: Vorlage des Verwertungsnachweises

Zur Überwachung der vorstehenden Anordnungen sind Sie nach § 47 Abs. 3 KrWG verpflichtet, mir die Bestätigung der Annahmestelle bzw.des Demontagebetriebes über die Übergabe des Motorrollers zu übermitteln. Zur Ausstellung und Aushändigung des Verwertungsnachweises an Sie sind die Annahmestellen bzw. der Demontagebetrieb nach § 4 Abs. 2 S.1 der AltfahrzeugV verpflichtet.

3.: Androhung der Ersatzvornahme

Die Androhung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme stützt sich auf §§ 66, 70 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 19. Januar 2005 (Nds. GVBl. S. 9).

Die von Ihnen im Falle der Durchführung der Ersatzvornahme zu tragenden Kosten werden auf ca. 500,00 € geschätzt.

4.: Anordnung der sofortigen Vollziehung

Der als Abfall einzustufende Motorroller steht nunmehr seit mehr als drei Monaten auf dem der Öffentlichkeit zugänglichen Parkplatz des Einkaufzentrums und hätte nach § 7 Abs. 2 KrWG längst von Ihnen beseitigt werden müssen. Dieser abfallrechtlich unzulässige Zustand kann im öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Vorschriften des KrWG und der AltfahrzeugV nicht länger hingenommen werden und schon gar nicht, bis zum Abschluss eines möglicherweise folgenden Widerspruchs- oder Klageverfahrens.

Die besondere Eilbedürftigkeit hinsichtlich der sofortigen Abfallbeseitigung liegt auch darin begründet, dass von dem Motorroller eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen kann. Der Motorroller ist seit langem und fortlaufend den Witterungsbedingungen ausgesetzt. Damit ist zwangsläufig eine Korrosion verbunden, die zur Folge haben kann, dass Motor- oder Getriebeöl ausläuft und in das Grundwasser gelangt.

Dem gegenüber steht Ihr Interesse zurück, die Anordnung erst befolgen zu müssen, wenn dieser Bescheid bestandskräftig geworden ist. Die durch das sofortige Befolgen der Anordnungen für Sie eintretenden Nachteile sind im Verhältnis zur Einhaltung des gesetzlichen Verpflichtung zur Abfallverwertung und zu einer möglichen Gefährdung der Umwelt als geringer einzustufen.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stützt sich auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 19. März 1991
(BGBl. I S. 686).

5.: Kostenlastentscheidung

Die Entscheidung über die von Ihnen zu tragenden Verwaltungskosten zur Durchführung dieses Verfahrens beruht auf §§ 1, 5 des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes vom 25. April 2007 (Nds. GVBl. S. 173). Sie haben Anlass für diese Amtshandlungen gegeben.

Ein Kostenfestsetzungsbescheid geht Ihnen demnächst zu.

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bei der Stadt Osnabrück, Rathaus, 49082 Osnabrück, Widerspruch einlegen.

Hinweis

Sollten Sie dieser Anordnung nicht innerhalb der festgesetzten Frist nachkommen und Widerspruch einlegen, kann gleichwohl die Ersatzvornahme durchgeführt werden, weil dem Widerspruch durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung zukommt.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann auf Ihren Antrag das Verwaltungsgericht Osnabrück die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen.

Mit freundlichen Grüßen
im Auftrag

Bündig

1) Fallbearbeitung