Den Sachverhalt zum Fall finden Sie in der Ausgabe 04/2018 der Zeitschrift
DVP – Fachzeitschrift für die öffentliche Verwaltung
auf den Seiten 151ff. Corona-Bonus: Hier geht’s kostenlos zur entsprechenden epaper-Ausgabe!
* Städt. Direktor a.D. Udo Kunze ist nebenamtlicher Fachlehrer beim Nds. Studieninstitut für kommunale Verwaltung e.V., Lehrbeauftragter der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen sowie der Hochschule Osnabrück und Dozent des Kommunalen Bildungswerkes e.V. Berlin.
** Das Gutachten und die Entwürfe der Bescheide beziehen sich auf die Fallbearbeitung in der DVP 4-2018, S. 151.
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Fall 11 – Die vermüllte Wohnung – Lösung – Udo Kunze
I.Gutachten
(Vorbemerkungen: im nachfolgenden Gutachten werden zu einzelnen Ausführungen in Kursivschrift für Studierende ergänzende Hinweise oder Empfehlungen zur rechtswissenschaftlichen Methodenlehre gegeben. Diese resultieren vor allem aus den Erfahrungen des Verfassers nach der Korrektur der Klausur.)
1. Arbeitszielbestimmung
Ziel der Behörde ist, K. Krass oder den Vermieter F. Fern zu verpflichten, die Wohnung in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen.
(Ein Arbeitsziel beschreibt ausgehend von einem aktuellen Standpunkt einen zukünftigen Zustand, den es mit dem Gutachten zu erreichen gilt. Eine Formulierung wie „Es fragt sich, ob….“ ist kein Arbeitsziel.)
2. Rechtmäßigkeit
Der Mieter K. Krass oder der Vermieter F. Fern kann verpflichtet werden, die Wohnung in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen, wenn für einen solchen Eingriff in Eigentumsrechte die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ermächtigungsnorm erfüllt werden (Vorbehalt des Gesetzes), die Maßnahme nicht gegen formelles und/oder materielles Recht verstößt (Vorrang der Gesetze, Art. 20 III GG), und eine solche sich ggfls. als zweckmäßig erweist.
(Der Obersatz nennt zunächst mit Hinweis auf den konkreten Sachverhalt [hier: Mieter und Vermieter sowie Wohnung] die Eingangshypothese, also eine Annahme über eine mögliche Maßnahme. Die beabsichtigte konkrete Maßnahme, abgeleitet aus dem Arbeitsziel, muss mit der gesuchten abstrakten Rechtsfolge übereinstimmen. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen nennen die nachfolgende Prüfabfolge.)
3. Ermächtigungsgrundlage
Eingriffsgrundlage könnte § 16 I IfSG sein.
(Nur die EGL für die Grundverfügung ist hier zu nennen, nicht jedoch schon eine mögliche Vollstreckungsmaßnehme oder ein Zwangsmittel.)
4. Formelle Rechtmäßigkeit
4.1 Verfahrensbeteiligung des Gesundheitsamtes
Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist, dass das Gesundheitsamt der zuständigen Behörde einen Vorschlag zu einer Maßnahme nach § 16 I IfSG macht (§ 16 VI IfSG). Diese Verfahrensvorschrift wurde eingehalten. Das Gesundheitsamt ist die Fachstelle für Seuchenhygiene.
Die Ordnungsverwaltung des Fachbereiches 32 als anordnende Behörde ist jedoch nur an den seuchenhygienischen Vorschlag des Gesundheitsdienstes gebunden, nicht jedoch an die Hinweise auf die ordnungs- und verwaltungsrechtliche Umsetzung, wie sich aus § 16 VII 3 IfSG ableiten lässt. Dies betrifft insbesondere die Auswahl des heranzuziehenden Verantwortlichen als auch die inhaltliche Bestimmtheit der Maßnahme.
(Diese Unterscheidung haben einginge Lehrgangsteilnehmer nicht beachtet, indem sie die Stellungnahme des Gesundheitsdienstes in vollem Umfang ohne eigenständige Prüfung umgesetzt haben. Ein fataler Fehler, der gleich zu Beginn zu einer falschen Weichenstellung führte. Spätestens aber bei der Ausübung des Auswahlermessens und bei der Formulierung des Tenors im Bescheid hätte der Fehler bemerkt werden müssen. An dieser Stelle zeigt sich, wie wichtig eine Lösungsskizze ist, die vor Beginn der Erstellung des Gutachtens auf Vollständigkeit und Stimmigkeit zu überprüfen ist.)
4.2 Anhörungsverfahren
Bevor ein eingreifender VA erlassen wird, müssen die Beteiligten angehört werden (§ 28 I VwVfG). Ein Ausnahmetatbestand nach Abs. 2 liegt nicht vor.
(Gleichwohl wurde eine Gefahr im Verzug nach § 28 II Nr. 1 VwVfG angenommen und mit einer Eilbedürftigkeit begründet oder ein Ausnahmefall nach Abs. 3 mit einem Hinweis auf die Gefahrenlage gerechtfertigt. Beides ist falsch, weil Gefahr im Verzug voraussetzt, dass durch die Anhörung eine Verzögerung eintritt und somit die Maßnahme vereitelt würde. Die Begründung für eine Ausnahme nach Abs. 3 ist nicht logisch, weil ansonsten jede Maßnahme der Gefahrenabwehr ohne Anhörung angeordnet werden könnte. Außerdem wurde an dieser Stelle bei einigen Teilnehmern der Sachverhalt nicht in den Blick genommen, wie sich sogleich zeigen wird.)
Beteiligter ist gem. § 13 I Nr. 2 VwVfG derjenige, an den der VA gerichtet werden soll.
(Weil zu diesem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens noch nicht feststeht, wer als Verantwortlicher herangezogen werden soll, empfiehlt es sich, beide Alternativen zu prüfen, zumal der Sachverhalt dies angezeigt erscheinen lässt. Eine Festlegung, wer heranzuziehen ist, hat an dieser Stelle jedoch zu unterbleiben, weil dies ein Aufbaufehler wäre.)
4.2.1 Dies kann nach § 7 II Nds. SOG der Eigentümer der Sache sein, von der die Gefahr ausgeht. Das Nds. SOG findet ergänzend Anwendung, weil das IfSG keine speziellen Vorschriften enthält (§ 3 I 3 Nds. SOG). Das ist hier Herr Fern als Eigentümer der Wohnung. Die Anhörung fand statt, wie sich aus Nr. 4 des Berichtes des Gesundheitsamtes erkennen lässt. Herrn Fern wurde mitgeteilt, dass die Absicht bestehen könnte, ihn zur Entrümpelung zu verpflichten. Damit wurde er auf eine mögliche Entscheidung ausreichend hingewiesen. Die Tatsachen waren ihm durch die Besichtigung der Wohnung hinlänglich bekannt.
Eine mündliche Anhörung ist ausreichend, weil es an Vorschriften fehlt, die eine bestimmte Form vorschreiben (§ 10 S. 1 VwVfG).
Herr Fern hat von der ihm eingeräumten Gelegenheit Gebrauch gemacht und eine Stellungnahme abgegeben. Seine Einwände wurden in den Bericht aufgenommen und der zuständigen Behörde auf diese Weise übermittelt, sodass sie in die Entscheidungsfindung einfließen können. Von daher ist es verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht die zuständige Behörde die Anhörung durchführte, sondern das Gesundheitsamt.
4.2.2 Adressat des VA kann aber auch der Mieter sein, der die Gefahr verursacht hat (§ 6 I Nds. SOG). Als Beteiligter (§ 13 I Nr.2 VwVfG) muss Herr Krass jedoch auch handlungsfähig sein (§ 12 VwVfG). Die Anhörung ist eine Verfahrenshandlung. Als natürliche Person ist Herr Krass geschäftsfähig, da für eine Geschäftsunfähigkeit i.S.d. § 104 Nr.2 BGB keine Anhaltspunkte vorliegen.
Herr Krass steht allerdings unter Betreuung, sodass § 12 III VwVfG zur Anwendung kommt. § 53 ZPO ist entsprechend anzuwenden und das bedeutet, dass Herr Krass nicht verfahrenshandlungsfähig ist, wenn die Betreuerin wie hier in das Verfahren eingetreten ist.
(Hier hatten einige angenommen, Herr Krass sei geschäftsunfähig, was aber gerade nicht der Fall ist, auch nicht unterstellt werden darf. Geschlossen wurde das aus § 16 V 2 IfSG. Rechtsanwendungstechnisch ist eine solche Schlussfolgerung unzutreffend, weil es keinen Satz 2 geben müsste, wenn die Person schon nach Satz 1 geschäftsunfähig wäre.)
Die Betreuerin wurde angehört, wie aus dem Vermerk unter c), hervorgeht. Sie wurde auf eine mögliche Anordnung gegen Herr Krass hingewiesen und über die Tatsachen informiert. Sie nahm dazu Stellung. Eine telefonische Anhörung ist zulässig, weil es an Formvorschriften zur Anhörung fehlt.
4.2.3 Zwischenergebnis
Eine Maßnahme nach § 16 I IfSG kann formell rechtmäßig erlassen werden.
(Das Zwischenergebnis „Die Maßnahme wurde formell rechtmäßig erlassen.“ lässt erkennen, dass der Gutachter die zeitliche Orientierung verloren hat, denn es geht nicht um die gutachterliche Prüfung eines bereits erlassenen VA, sondern um die Frage, ob in Kürze eine Maßnahme angeordnet werden kann.)
5. Materielle Rechtmäßigkeit
5.1 Tatbestand
5.1.1 Tatsachen
Die materielle Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass Tatsachen festgestellt wurden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können (§ 16 I IfSG). Tatsachen sind dem Beweis zugängliche Zustände, Ereignisse oder Handlungen oder Geschehnisse. Der vom Gesundheitsaufseher beschriebene Zustand der Wohnung belegen solche Tatsachen.
Dass durch den seuchenhygienisch gefahrbringenden Zustand der Wohnung Infektionserkrankungen drohen, hat der Gesundheitsaufseher unter Ziff. 3 seines Berichtes bestätigt.
(Wer im Gutachten hierzu langatmige Ausführungen glaubt machen zu müssen, kam mit der Zeitvorgabe nicht klar. Teilweise wurde der Bericht nur wiederholt. Das Abschreiben des Sachverhalts im Gutachten ist ebenso unangebracht, wie die wörtliche Wiedergabe des Gesetzestextes einen schweren Fehler darstellt.)
5.1.2 Gefahr
Nach der Legaldefinition des Begriffs Gefahr aus § 2 Nr. 1a Nds. SOG kann hier davon ausgegangen werden, dass das Individualschutzgut Gesundheit durch eine übertragbare Krankheit verletzt werden und ein solcher Schaden aufgrund des verseuchten Zustandes der Wohnung auch in absehbarer Zeit hinreichend wahrscheinlich eintreten kann.
(Der Entscheidungsstil wurde zuvor gewählt, weil die Gefahrenlage unproblematisch ist. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb die eher theoretische Frage, ob der Begriff der Gefahr zum Tatbestand zählt oder der Rechtsfolge zuzuordnen ist. Das Letztere kann deshalb angenommen werden, weil nach der wörtlichen Auslegung angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber das mögliche Auftreten einer übertragenen Krankheit stets als Gefahr ansieht und die notwendige Maßnahme als Rechtsfolge daran knüpft, dass eine solche nur dann rechtmäßig ist, wenn sie allein diesem Zweck dient. Das kann aber dahinstehen, wenn nur kurz auf die Gefahr problemlösungsorientiert eingegangen wird.)
5.1.3 Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 16 I IfSG werden demnach erfüllt.
5.2 Rechtsfolge
5.2.1 Rechtsbindung
Als Rechtsfolge sieht diese Ermächtigungsnorm vor, dass „notwendige Maßnahmen“ getroffen werden. Es handelt sich um eine insoweit gebundene Entscheidung über das Ob einer zu treffenden Maßnahme (s. Bales/Baumann/Schnitzler, Kommentar zum IfSG, 2. Aufl. 2003, Rn 4). Die Norm lässt folglich kein Entschließungsermessen zu.
5.2.2 Auswahlermessen
Über Art und Umfang einer Maßnahme ist aber im Rahmen des Auswahlermessens zu entscheiden. Das IfSG enthält keine Regelung zur Ermessenausübung, jedoch gilt ergänzend das Nds. SOG, das in § 5 I der Behörde für die zu treffenden Maßnahmen pflichtgemäßes Ermessen einräumt (zur Anwendung des allgemeinen Polizeirechts: Bales/Baumann/Schnitzler, aaO, Rn 1). Wie die Stadt Osnabrück eingreift und wem gegenüber, liegt in ihrem Auswahlermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BVerwGE 142, 205, Rn 24). Ergänzend findet § 40 VwVfG Anwendung.
5.2.2.1 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
a) Einen seuchenhygienisch unbedenklichen Zustand der Wohnung durch Entsorgung und Desinfektion herzustellen, ist eine geeignete Maßnahme, weil es sich als taugliches Mittel erweist, das Ziel, nämlich Gefahren abzuwehren, zu reichen.
b) Als geringstmöglicher Eingriff kommen hier nur die Schädlingsbekämpfung und die Desinfektion in Frage. Die Desinfektion von Gegenständen, die aus Stoff bestehen, ist jedoch nach Aussage der Fachfirma nicht möglich, sodass nur die Entsorgung in einer Sondermülldeponie sich als eine einzig wirksame und damit geeignete Maßnahme darstellt. Das bedeutet allerdings für Herrn Krass ein Eingriff in sein Eigentum. Die Desinfektion der Möbel sowie Elektrogeräte ist hingegen möglich und stellt sich für den Eigentümer als diejenige Maßnahme dar, die ihn weniger beeinträchtigt, als ein Eigentumsentzug durch Entrümpelung.
Sollte jedoch der Vermieter als Verantwortlicher herangezogen werden, ist dieser Gesichtspunkt des Übermaßverbotes aus seinem Blickwinkel später und dann abschließend zu prüfen und zu entscheiden.
(Diese Ermessengesichtspunkte und die nachfolgende Abwägung wurden weitestgehend vernachlässigt und stellen Ermessendefizite dar, die zur Rechtswidrigkeit führten.)
c) Die Angemessenheit der Maßnahme bestimmt sich danach, wie sich die Zweck-Mittel-Relation (§ 4 II Nds. SOG) darstellt, also das Verhältnis zwischen dem angestrebten Erfolg im öffentlichen Interesse und den Nachteilen, die sich aufgrund der Maßnahme für den Verantwortlichen ergeben.
Ziel der Anordnung ist der Schutz der Allgemeinheit vor übertragbaren Krankheiten. Die Wahrung der Gesundheit genießt einen hohen Stellenwert, den Art. 2 II GG als Grundrecht unter den staatlichen Schutz stellt.Demgegenüber hat der Eigentümer hinzunehmen, dass seine verseuchten Sachen desinfiziert werden und, soweit das nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, ihm durch Entsorgung das Eigentum entzogen wird. Nach Art. 14 I 2 GG unterliegt das Eigentumsrecht gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, wozu auch das IfSG zählt.In der Abwägung beider Interessenlagen ist der Schutz der körperlichen Unversehrtheit höher zu bewerten, als die Einschränkung des Eigentums an gebrauchten Sachen, die wiederbeschafft werden können. 5.3 Auswahl des Verantwortlichen Diese Entscheidung steht ebenfalls im Ermessen der Behörde, wie unter 5.2.2 ausgeführt wurde.
5.3.1 Verursacht hat die Gefahrensituation der Mieter. Als Verhaltensverantwortlicher ist er gem. § 6 I Nds. SOG herzuziehen. Aus dieser Formulierung kann jedoch nicht geschlossen werden, dass eine gesetzliche Verpflichtung besteht, die Maßnahme stets gegen ihn zu richten. Können mehrere Verantwortliche herangezogen werden, ist gleichwohl eine Auswahl zu treffen, und zwar nach ermessensfehlerfreien Gesichtspunkten.
Ob K. Krass als Zustandsverantwortlicher die tatsächliche Gewalt i.S.d. Gefahrenabwehr innehat (§ 7 I 1 Nds. SOG), ist zweifelhaft, denn er befindet sich zum Zeitpunkt des Erlasses der gefahrenabwehrenden Maßnahme in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses, sodass er gegenwärtig nicht in der Lage ist, unmittelbar auf die in seinem Eigentum stehenden Sachen einzuwirken. Nach Sinn und Zweck des Gefahrenabwehrrechts ist die tatsächliche und sofortige Ausführung der Maßnahme jedoch Voraussetzung für eine Inanspruchnahme. Daran fehlt es hier. Dass K. Krass Besitzer i.S.d. § 854 I BGB ist, steht dem nicht entgegen, weil nach dieser Norm die zivilrechtliche Ausübung der tatsächlichen Gewalt weiter gefasst wird als die ordnungsrechtliche.
Da Herr Krass jedoch durch seine Betreuerin vertreten wird und diese im Rahmen ihres Aufgabenbereiches „Behördenangelegenheiten“ für die Durchführung der Maßnahme Sorge tragen kann, wäre die tatsächliche Gewalt über die verseuchte Wohnung zu bejahen. Von daher wäre Herr Krass zugleich auch Zustandsverantwortlicher.
5.3.2 Als Verantwortlicher kann auch der Eigentümer der Wohnung gem. § 7 II Nds. SOG herangezogen werden.
Ermessensgesichtspunkte:
a) Für die Auswahlentscheidung zu Lasten des K. Krass spricht, dass er
- als Verursacher Verhaltensverantwortlicher ist,
- Doppelstörer ist, denn er ist zugleich auch Zustandsverantwortlicher,
- es handelt sich bei den verseuchten Sachen um sein Eigentum, über das er Verfügungsmacht besitzt,
- er kann durch seine Betreuerin die Maßnahme befolgen (§ 16 V 2 IfSG).
Dagegen spricht, dass er
- derzeit nicht über die finanziellen Mittel verfügt, eine Spezialfirma zu beauftragen,
- ein Anspruch auf Gewährung einer Leistung zum Lebensunterhalt zur Übernahme der Kosten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht besteht, weil diese nicht zur Sicherung der Unterkunft dienen, zumindest die Klärung dieser Frage längere Zeit in Anspruch nehmen wird
- und die Betreuerin ohne Zusage zur Kostenübernahme keinen Auftrag zu Lasten des Betreuten erteilen darf,
- die Inanspruchnahme der Betreuerin wird jedoch zu einer Verzögerung führen, da sich diese mit Herrn Krass gem. § 1901 III 3 BGB vorher besprechen muss.
b) Für die Inanspruchnahme des Hauseigentümers spricht, dass dieser
- ein gesteigertes Interesse daran hat, seine Wohnung wieder in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen,
- die fristlose Kündigung des Mietvertrages veranlassen wird,
- am schnellsten die Gefahrensituation beseitigen kann, da er als Vermieter in diesem Fall berechtigt ist, die Wohnung des Mieters zu betreten,
- er direkt Einfluss auf die Art und den Umfang der Instandsetzungsarbeiten für die Nachvermietung nehmen kann.
Dagegensprechen könnte,
- dass Herr Fern privatrechtlich gehindert ist, die Eigentumsrechte seines Mieters zu verletzen, wenn dieser nicht zustimmen sollte.
(Wer den Sachverhalt sorgfältig gelesen und im Laufe des Gutachtens wiederholt herangezogen hat, wird erkannt haben, dass viele dieser Gesichtspunkte bereits daraus hervorgehen. Damit wird zugleich deutlich, dass dies ein Schwerpunkt der Klausur ist.)
5.3.3 Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines VA ist, dass er auf einen rechtlich möglichen Erfolg gerichtet ist. Steht also wie hier der Mietvertrag und die unter Strafe stehende Eigentumsverletzung der Verpflichtung zur Räumung der Wohnung als rechtliches Vollzugshindernis entgegen, so kann die rechtliche Unmöglichkeit durch Erlass einer Duldungsverfügung an den Mieter beseitigt werden, um die Vollstreckbarkeit der Maßnahme herzustellen (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 10 Rn 55 sowie Korte in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 48 Rn 78 jeweils m.H.a. BVerwGE 40, 101, 103).
Damit wird die privatrechtliche Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Vermieters öffentlich-rechtlich überlagert und damit die Durchsetzung der behördlichen Verpflichtung zulässig.
(Im Unterricht vor der Klausur wurde auf diese Rechtslage ausdrücklich hingewiesen und ein vergleichbarer Fall besprochen, in der es um eine Verfügung über den Abriss eines Miethauses ging, deren Beachtung ein Mietverhältnis entgegenstand. Dieses Transferwissen wurde teilweise nicht erkannt).
a) Bei der Entscheidung, den Vermieter heranzuziehen, würde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten, da die Maßnahme geeignet ist, den Erfolg, nämlich die Gefahren abzuwehren, zu erreichen.
b) Allerdings ist für F. Fern die Entsorgung der Möbel der geringere Eingriff, weil ihm dadurch weniger Kosten entstehen, als durch eine finanziell aufwändigere Desinfektion. Diesen Nachteil muss K. Krass als Verursacher der Gefahrensituation hinnehmen. Die Lösung dieses Zielkonfliktes geht deshalb zu seinen Lasten.
c) Zur Angemessenheit der beabsichtigten Verfügung wird auf die Ausführungen zu Nr. 5.2.2.1 verwiesen.
5.3.4 Nach Abwägen des Für und Wider erweist sich die Inanspruchnahme des Vermieters als die zweckmäßigste Entscheidung, die am schnellsten und effektivsten zum Erfolg führt.
(Einige Lehrgangsteilnehmer haben auf der Grundlage des § 16 V 2 IfSG oder § 6 II 2 Nds. SOG allein die Betreuerin als Verantwortliche in Anspruch genommen. Dabei wurde aber verkannt, dass nicht sie persönlich die Verhaltensverantwortliche ist, sondern nach wie vor der von ihr zu betreuende Herr Krass. Im Rahmen ihres Aufgabenbereiches kann sie demnach nur dafür in Anspruch genommen werden, dafür Sorge zu tragen, dass die gegen K. Krass zu erlassende Maßnahme zeit- und sachgerecht ausgeführt wird. Dies ist allein Sinn und Zweck der Regelungen, wobei § 16 V 2 IfSG als spezielles Gesetz dem § 6 II 2 Nds. SOG vorgeht. Hier zeigt sich, wer eine sorgfältige Rechtsnormanalyse durchführt und die rechtswissenschaftlichen Auslegungsmethoden beherrscht und fallbezogen anwenden kann.
Eine diesbezügliche Inanspruchnahme der Betreuerin ist hinsichtlich der Duldungsverfügung gleichwohl angezeigt, weil von ihr zwar keine Handlung verlangt wird, jedoch verhindert werden muss, dass sie sich der Duldungsverfügung entgegenstellt.
Wer die Ermessenentscheidung getroffen hat, K. Krass durch seine Betreuerin in Anspruch zu nehmen, hat ein rechtlich nur dann nicht zu beanstandendes Ergebnis, wenn die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte sowie die Abwägungsentscheidung ausreichend begründet worden sind.)
6. Zwangsmittelandrohung
Als allein zweckmäßiges Zwangsmittel erweist sich die Androhung der Ersatzvornahme gem. § 66 Nds. SOG.
Eine Anordnung der sofortigen Vollziehung beider Bescheide erübrigt sich gem. § 16 VIII IfSG.
7. Ergebnis
Zur Entrümpelung und Desinfektion der Wohnung kann also F. Fern verpflichtet werden.
Weil die schriftliche Vollmacht über die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts nicht vorliegt, muss gem. § 7 I 2 VwZG der Bescheid auch nicht an Dr. Willig zugestellt werden.
An K. Krass ist zu Händen der Betreuerin zeitgleich eine Duldungsverfügung zu richten.
(Zur Bescheidtechnik:Selbst Verwaltungsfachangestellte mit langjähriger Berufserfahrung hatten erhebliche Probleme, einen beanstandungsfreien Bescheid im Entwurf zu fertigen. Dringend zu empfehlen ist von daher das Fachbuch:Bescheidtechnik -Mustertexte für Studium und Praxis – Herausgeber: Michael Koop und Holger Weidemannvon Bittorf, Drape, Globisch, Moldenhauer, Scheske, WeidemannMaximilian Verlag
II. Entwurf der Bescheide
1. Bescheid an den Vermieter
Stadt Osnabrück
Der Oberbürgermeister
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per Zustellungsurkunde
Herrn
Felix Fern
Lange Str. 5
49082 Osnabrück
Osnabrück, den 10. Dezember 2016
Desinfektion und Entrümpelung der Wohnung Blumenstr. 1 in Osnabrück, Mieter: Karl Krass
Sehr geehrter Herr Fern,
1. die Wohnung Ihres Mieters, Karl Krass, Blumenstr. 1 in Osnabrück, ist innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides von allen Schädlingen (Ratten, Fliegen und Maden) zu befreien und alle sich in der Wohnung befindenden Sachen sind innerhalb der vorgenannten Frist einer Sondermülldeponie zuzuführen. Anschließend ist die Wohnung zu desinfizieren.
2. Gegenüber Ihrem Mieter, Herrn Karl Krass, wird mit heutigem Bescheid, der als Anlage beigefügt ist, die Duldung der unter Nr. 1 angeordneten Maßnahme verfügt, sodass Sie öffentlich-rechtlich befugt sind, diese Anordnung zu befolgen.
3. Sollten Sie dieser Anordnung nicht innerhalb der genannten Frist nachkommen, werde ich die Ersatzvornahme durchführen, d.h., eine Spezialfirma mit der Schädlingsbeseitigung, der Entrümpelung und der Desinfektion beauftragen. Die Kosten, die mit ca. 3.800,00 € anzusetzen sind, haben dann Sie zu tragen.
Begründungen:
1. Wie Ihnen durch die am 5. Dezember 2016 durchgeführte Besichtigung hinreichend bekannt ist, befindet sich die Wohnung Ihres Mieters in einem seuchenhygienisch nicht hinnehmbaren Zustand. Die durch Essenreste entstandenen Schimmelpilz Sporen und die Fäkalkeime können durch die Luft oder die in der Wohnung vorgefundenen Ratten und Schmeißfliegen Infektionskrankheiten auf Menschen übertragen. Um diese Gefahren abzuwehren, sind die angeordneten Maßnahmen innerhalb der genannten Frist durchzuführen.
2. Diese Verfügung stützt sich auf § 16 I des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045). Nach dieser Vorschrift sind von mir als der zuständigen Behörde die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die durch das Auftreten von übertragbaren Krankheiten drohenden Gefahren abzuwenden.
3. Die unter Ziffer 1 angeordneten Maßnahmen erweisen sich als geeignet, weil sie die aufgetretene Gefahrensituation beseitigen. Sie sind auch die geringstmöglichen Mittel, da Ihnen durch die Desinfektion der Möbel höhere Kosten entstehen würden, als durch eine Entsorgung. Die Angemessenheit ergibt sich daraus, dass der Schutz der Allgemeinheit vor übertragbaren Erkrankungen höher zu bewerten ist, als das Eigentum an den gebrauchten Sachen und die Ihnen entstehenden Kosten zur Durchführung der Maßnahmen.
4. Als Eigentümer der Wohnung werden Sie in Ihrer Verpflichtung als Zustandsverantwortlicher gem. § 7 II des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) vom 19. Januar 2005 (Nds.GVBl. 2/2005 S. 9) herangezogen, weil es Ihnen am schnellsten gelingt, die notwendigen Maßnahmen durchzuführen, zumal dies in Ihrem eigenen Interesse liegt, um nach der beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietvertrages mit Herrn Krass die Wohnung wieder in einen vermietbaren Zustand zu versetzen.
Demgegenüber ist Herr Krass aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes und seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage, einer solchen Verfügung fristgerecht nachzukommen. Dem steht auch nicht entgegen, dass er unter Betreuung steht.
5. Da Sie privatrechtlich nicht die Befugnis haben, die Eigentumsrechte des Herrn Krass zu verletzen, habe ich mit Bescheid vom heutigen Tage gegen Ihren Mieter eine Duldungsverfügung erlassen, sodass Sie berechtigt sind, die angeordneten Maßnahmen zu Lasten des Herrn Krass durchzuführen. Ein Durchsetzungshindernis besteht also für Sie nicht.
6. Die Ersatzvornahme stellt sich als geeignetes Zwangsmittel dar, falls Sie dieser Verfügung nicht fristgerecht nachkommen. Durch die Androhung sollen Sie angehalten werden, die Maßnahmen innerhalb der nächsten 5 Tage durchzuführen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen die Regelungen in den Nr. 1 bis 3 dieses Bescheides kann innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück, Hakenstr. 15, 49187 Osnabrück, erhoben werden.
Hinweise:
Sollten Sie Klage erheben, haben Sie dennoch dieser Verfügung innerhalb der genannten Frist Folge zu leisten, weil eine aufschiebende Wirkung der Klage nicht eintritt. So bestimmt es § 16 VIII IfSG.
Dasselbe gilt für den Fall einer Klage gegen die Androhung der Ersatzvornahme, wie sich dies aus § 64 IV Nds. SOG ergibt.
Mit freundlichen Grüßen
im Auftrag
Sorgfalt
2. Duldungsverfügung an den Mieter
Stadt Osnabrück
Der Oberbürgermeister
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per Zustellungsurkunde
Frau
Petra Pein
Kurze Str. 5
49082 Osnabrück
Osnabrück, den 10. Dezember 2016
Desinfektion und Entrümpelung der Wohnung des von Ihnen betreuten Karl Krass
Sehr geehrter Frau Pein,
1.Herr Karl Krass wird mit sofortiger Wirkung verpflichtet, zu dulden, dass der Vermieter seiner Wohnung Blumenstr. 1 in Osnabrück, Herr Felix Fern, zur Umsetzung der ihm auferlegten Maßnahmen die in seinem Eigentum stehenden Einrichtungsgegenstände aus seuchenhygienischen Gründen entsorgt.
2. Sie werden verpflichtet, in Ihrer Funktion als Betreuerin des Herrn Krass diese Duldungsverfügung zu beachten.
3. Sollte dieser Verfügung nicht Folge geleistet werden, drohe ich hiermit den unmittelbaren Zwang gegen Personen und Sachen an.
Begründungen:
Zu 1.:
Ihnen ist bekannt, dass sich die Wohnung des von Ihnen betreuten Herrn Krass in einem Zustand befindet, der dazu führen kann, dass übertragbare Krankheiten auftreten können.
Aus diesem Grund wurde der Vermieter der Wohnung, Herr Felix Fern, mit Bescheid vom heutigen Tage verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen wie Entrümpelung und Desinfektion durchzuführen. Einzelheiten besonders auch hinsichtlich der Begründung entnehmen Sie bitte der beigefügten Ausfertigung meines Bescheides an Herrn Fern.
Der Erlass dieser Duldungsverfügung ist erforderlich, weil der nach dem Infektionsrecht in Anspruch genommene Eigentümer der Wohnung privatrechtlich sonst nicht befugt wäre, die Herrn Krass gehörenden Sachen zu vernichten. Die gefahrenabwehrende Entrümpelung der Wohnung ist jedoch notwendig, um das Auftreten übertragbarer Krankheiten zu verhüten.
Rechtsgrundlage für diese Verfügung gegen Herrn Krass ist § 16 I des Infektionsgesetzes (IfSG).
Eine Anhörung hat durch das mit Ihnen geführte Telefongespräch stattgefunden. Ihre Stellungnahme wurde bei der Entscheidung über die Auswahl des Verantwortlichen berücksichtigt.
Diese Maßnahme gegenüber Ihrem zu Betreuenden stellt sich als das geringstmögliche Mittel dar, um die Gefahren eines Auftretens von übertragenen Krankheiten abzuwehren. Dabei muss Herr Krass hinnehmen, dass seine Sachen entsorgt werden. Eine Desinfektion anzuordnen, würde für den in Anspruch genommenen Herrn Fern kostenaufwändiger sein und demnach nicht erforderlich sein. Die Angemessenheit dieser Verfügung ergibt sich aus dem Zweck, Gefahren, die von übertragbaren Krankheiten ausgehen, zu beseitigen. Demgegenüber muss das Interesse des Herrn Krass, sein Eigentum zu erhalten, zurückstehen. Herr Krass wird auch nur durch diese Duldungsverfügung in die Pflicht genommen.
Zu 2.:
Die Ihnen als Betreuerin obliegende Verpflichtung, dieser Verfügung nachzukommen, ergibt sich aus § 16 V 2 IfSG. Zu Ihrem Aufgabenbereich gehört die Wahrnehmung behördlicher Angelegenheiten, sodass diese Verpflichtung an Sie als gesetzliche Vertreterin des Herrn Krass zu richten ist.
Zu 3.:
Die vorsorgliche Androhung des unmittelbaren Zwangs stützt sich auf § 69 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 19. Januar 2005 (Nds. GVBl. 2/2005, S. 9). Ein anderes Zwangsmittel erweist als nicht effektiv.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen die Regelungen in Ziffern 1 bis 3 dieses Bescheides kann innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück, Hakenstr. 15, 49187 Osnabrück, erhoben werden.
Hinweise:
1. Sollten Sie Klage erheben, haben Sie dennoch dieser Verfügung Folge zu leisten, weil eine aufschiebende Wirkung der Klage nicht eintritt. So bestimmt es § 16 VIII IfSG.
2. Dasselbe gilt für den Fall einer Klage gegen die Androhung des unmittelbaren Zwangs, wie sich dies aus § 64 IV Nds. SOG ergibt.
3. Bevor der Vermieter mit der Entrümpelung beginnt, können Sie die persönlichen Sachen des Herrn Krass aus der Wohnung holen, soweit diese sich in einem seuchenhygienisch nicht zu beanstandenden Zustand befinden. Sollten Sie dazu eine Beratung wünschen, können Sie gern mit mir einen Termin vereinbaren.
Mit freundlichen Grüßen
im Auftrag
Sorgfalt